Deutsch-Musik, Musik-Deutsch?

Betrachtet man die Musik als Sprache, steht man bei der Aufgabe einer Analyse vor der Schwierigkeit des Übersetzens. Dabei ist es, wie in jeder Sprache, möglich, auf einige Stolpersteine zu stoßen. So steht man vor der Gefahr des bloßen Aufzählens der Parameter ohne die Komplexität der Musik zu erfassen. Auch das Setzen eines zu starken Schwerpunktes erfasst die Aufgabe nicht richtig, da so bedeutsame Details außer Acht geraten können.
Dann steht man aber vor der Frage: „Welche und wie viele Einzelheiten gehören in eine Versprachlichung eines Musikstücks?“
Um die Problematik zu verdeutlichen, werde ich mal ein Beispiel geben.
Das Kunstlied „Mut“ ist das 22. Lied des Zyklus „Die Winterreise“ von Franz Schubert. Der Zyklus ist aus 24 unabhängigen Liedern zusammengesetzt, welche alle zusammen genommen dennoch einen Sinn ergeben. Der Protagonist „[der] Winterreise“ ist ein Mann, welcher von seiner Freundin verlassen wurde. Daraufhin beginnt sein persönlicher Winter und er beginnt zu wandern. Die Erlebnisse und Gefühle während dieser Wanderung werden in den Texten verarbeitet. Vertont wurde Zyklus zwar von Schubert, die Texte aber stammen von Wilhelm Müller.
Das Kunstlied „Mut“ besteht aus drei Strophen mit jeweils vier Versen. In der ersten Strophe scheint es, als ob der Wanderer seine Situation akzeptiert hat, da gesagt wird, dass er „hell und munter“ singt, wenn sein „Herz im Busen spricht“. In der zweiten Strophe zeigt sich jedoch, dass das, was sein Herz ihm sagt, gar nichts Gutes ist („Habe keine Ohren“, „Fühle nicht, was es mir klagt“). Dies zeigt keine Akzeptanz sondern Ignoranz, was nicht gerade für eine Besserung seiner Situation spricht. In der dritten Strophe hört man jedoch einen leichten Optimismus aufblitzen, da gesagt wird, dass er „lustig in die Welt hinein“ geht und das sogar „gegen Wind und Wetter“.

Betrachten wir nun Schuberts musikalische Umsetzung:
Setzen wir beispielsweise den Schwerpunkt auf die Dynamik, ist zunächst auffällig, dass in der ersten und zweiten Strophe der Lautstärkenunterschied zwischen dem Gesang und dem Zwischenspiel erheblich deutlicher ist als in der dritten Strophe. Erst befinden sich Forte und Piano im Wechselspiel, ab dem 37. Takt sind es Mezzoforte und Forte. Dieser ständige Wechsel lässt das Lied lebhaft, aber auch unschlüssig wirken. Der Gesang wird immer leiser gesungen als die Klavierstimme spielt. Während des Gesangs passt sich die Dynamik in der tonalen Begleitung derjenigen der Vokalmusik an. Auch das wiederkehrende Motiv (Takt 1-2) hat jeweils auf der zweiten Zählzeit ein Decrescendo, welches ebenfalls eine gewisse Sprunghaftigkeit, aber auch Unsicherheit deutlich macht.
Beleuchten wir nun den Parameter der Harmonik andeutungsweise, befindet sich die größte Veränderung zu Beginn der dritten Strophe, da hier eine Modulation von g-Moll nach G-Dur stattfindet.
Auffällig ist auch, dass der Gesangspart der ersten und zweiten Strophe immer auf der Tonika der Tonart beginnt, wodurch eine gewisse Beständigkeit entsteht.
Dasselbe könnte man jetzt auch mit der Melodik, der Artikulation und jedem weiteren Parameter der Musik durchführen. Jedoch würde die Analyse dadurch nicht aufgewertet werden, da jedes Detail zu einer anderen Interpretation führen könnte und man so keine Zusammenhänge zwischen den einzelnen Merkmalen knüpft und demnach die Komplexität der Musik nicht erfasst werden würde.
Wie angesprochen ist, die Musik eine Art Sprache, also ein Kommunikationsmittel, und bekanntlich kommuniziert man nicht nur über Worte, sondern auch über die Mimik und Gestik. Zusammenhängend ergeben diese Komponenten dann das Gesagte. Genauso ist es bei der Musik: Die scheinbar voneinander unabhängigen Parameter müssen in eine Verbindung gebracht werden, um eine Aussage über ihre Bedeutung machen zu können.
Probleme kann auch die Wortwahl in der Analyse mit sich bringen. Sollte man viele Fachbegriffe verwenden oder für „Jedermann“ schreiben? Diese Frage kann jedoch nur von jedem einzelnen beantwortet werden, da dies abhängig vom Adressaten der Arbeit ist.
Letztlich tritt die am Anfang gestellte Problemfrage bei jeder Analyse wieder auf, da kein Musikstück einem anderem gleicht und jedes einen anderen historischen Hintergrund hat, welcher ebenfalls in der Musik verarbeitet wurde.

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